Von
/23.06.25
Handmade Software
Die Tools haben sich verändert, das Chaos ist geblieben – nur eben intelligenter.
Vor über zwei Jahren wurde vorhergesagt, dass ChatGPT uns Softwareentwicklern die Jobs streitig machen würde. Aber irgendwie ist das nicht passiert – zumindest noch nicht. Was allerdings passiert ist: KI-Tools sind inzwischen ein fester Bestandteil unseres Arbeitsalltags geworden.
Was mich allerdings langsam auf die Palme bringt, sind die wöchentlichen "KI-Revolutionen", die seit 2023 aus dem Boden schiessen. Mindestens hundert davon haben wir erlebt – und ja, ich bin mittlerweile definitiv KI-müde.

The Good, the Bad and the Ugly

Fangen wir mit dem Schlechten an: KI hat in vielen Unternehmen das Rampenlicht übernommen. Jeder wollte plötzlich eine "AI-powered"-Funktion in seinem Produkt einbauen. Viele dieser Versuche sind kläglich gescheitert – und als Entwickler bleiben wir oft mit halb garen Tools zurück, die uns mehr aufhalten als helfen. Zahlreiche Google-Produkte sind inzwischen "KI-unterstützt", bringen uns in der Praxis aber kaum weiter. Selbst in Entwicklerumgebungen wie JetBrains wirkt die Integration häufig wie ein aufgesetztes Feature, nicht wie ein echter Mehrwert.
Der hässliche Teil? Die Qualität von KI-generiertem Code ist bestenfalls mittelmässig. Selbst die teuersten, neuesten Modelle produzieren regelmässig überflüssigen oder schlicht schlechten Code. Das Internet ist voll von Leuten, die propagieren: "Schaut mal, ich hab das in einer Stunde mit KI gebaut – wir sind am Ende!". Aber nach zwei Jahren warte ich immer noch auf ein einziges KI-basiertes Projekt, das über das Prototypenstadium hinausgekommen ist.
Aber es gibt auch Positives – und das ist wirklich beeindruckend: Die wenigen wirklich guten KI-Tools der letzten zwei Jahre sind richtig gut. ChatGPT ist ein herausragender Sparringpartner, um Ideen zu validieren oder Ansätze zu testen. GitHub Copilot spart uns Stunden monotoner Programmierarbeit. Und AI-zentrierte Editoren wie Cursor oder Zed ermöglichen völlig neue Workflows. Das sind Werkzeuge, die unsere Arbeitsweise tatsächlich verbessern.
poorly generated image
Wirkt auf den ersten Blick überzeugend – aber beim zweiten Hinschauen zeigt sich: So sieht Code aus, wenn er ohne Verständnis geformt wird. (Quelle: GPT-4o)

Der Junior und der Senior

Ich bin seit meinem Bachelorabschluss 2006 in der Branche – also fast seit 20 Jahren. Mein Eindruck: Diese neuen Tools verändern die Entwicklung junger Talente nicht fundamental – aber sie machen den Unterschied zwischen guten und schlechten Software Engineers deutlicher sichtbar.
Ein sehr guter Engineer weiss heute, wie man KI-Tools effektiv einsetzt – und erkennt, wann man lieber die Finger davon lässt. Die nächste Generation kann viel schneller und gezielter lernen. Keine stundenlangen Recherchen auf StackOverflow mehr für Probleme, die längst gelöst wurden. Die Antwort liegt heute nur Sekunden entfernt.
Wer in der Lage ist, die richtigen Fragen zu stellen und sich tief in Themen einzuarbeiten, wird künftig schneller wachsen – und für Arbeitgeber einfacher als Top-Talent erkennbar sein.

Der KI-Mitarbeiter

Kürzlich haben wir mit einem dieser viel diskutierten "AI-Employees" experimentiert – unter anderem mit DevinAI. Die Ergebnisse entsprachen ziemlich genau unseren Erwartungen. Sehr einfache Aufgaben konnte das System in kürzester Zeit erledigen, wahrscheinlich günstiger als ein menschlicher Entwickler.
Sobald die Aufgabe aber nur etwas komplexer wurde, sank die Qualität deutlich unter das, was wir bei Renuo (und generell in der Branche) als Standard sehen. Komplexe Aufgaben wurden gar nicht mehr bearbeitet – das System verstand den Kontext schlicht nicht.
Das interessanteste Ergebnis bekamen wir bei einer vermeintlich einfachen Aufgabe. Wir baten die KI, Statistiken aus einer Datenbank auszulesen. Sie schrieb korrektes SQL, aber der Clou: Diese Auswertung war bereits in der Software enthalten. Ein menschlicher Mitarbeiter hätte das sofort erkannt und dem Kunden die bereits vorhandene Lösung gezeigt – inklusive Zusatznutzen. Genau diese Fähigkeit zur Kontextualisierung und zum Hinterfragen fehlt der KI (noch).
Aber ist das nicht exakt die Entwicklung, die ein Junior Engineer im Laufe seiner Karriere durchläuft?

Der menschliche Mitarbeiter

Niemand weiss, wie weit wir in den nächsten zehn Jahren in der Automatisierung der Softwareentwicklung kommen werden. Aber da der Bedarf an Software quasi grenzenlos ist, gehe ich davon aus, dass wir Menschen weiterhin gebraucht werden.
Natürlich verändern sich die gefragten Skills. Erfahrung wird weiterhin relevant sein und Soft Skills werden noch wichtiger. Anforderungen zu verstehen, sie kritisch zu hinterfragen und klar zu kommunizieren, bleibt essenziell.
Offshoring und Nearshoring dürften zunehmend von KI ersetzt werden – weil direkte Kommunikation dort ohnehin oft nicht stattfindet. Lokale Unternehmen hingegen haben einen Vorteil. Wer es schafft, die neuen Tools sinnvoll einzusetzen, wird effizienter und schlagkräftiger.

Fazit

KI-Tools haben begonnen, unsere Art der Softwareentwicklung zu verändern. Viele repetitive Aufgaben lassen sich schneller und bequemer erledigen.
Doch der wahre Wert eines Software Engineers liegt im Verständnis des Kontexts, im kritischen Denken und in der Zusammenarbeit. Diese Fähigkeiten lassen sich bisher nicht effizient automatisieren – und genau deshalb können wir komplexe Aufgaben (noch) nicht an KI übergeben.
Mal sehen, ob das 2026 noch so ist.